Im Blick zurück entstehen die Dinge, die dafür sorgen, dass wir uns finden. Dieses Zitat der Band Tocotronic möchte ich an dieser Stelle bemühen, weil es den Nagel in meiner Situation schlichtweg auf den Kopf trifft. Ich, nicht gerade für meine Geduld bekannt, soll aus gesundheitlichen Gründen ein paar wenige Wochen vom Sport pausieren. Verletzungspause. Es ist ein zeitlich absolut begrenzter Zustand, der mich aber so sehr deprimiert, dass Wut und Frust mich an meine Grenzen gebracht haben – und dort völlig ungeahnte Kräfte freigesetzt wurden.
Es dürfte einige von euch verwundern. Normalerweise prangt über meinen Beiträgen und Artikeln ein großes, breites Foto, auf dem ich üblicherweise irgendeine Bewegung ausführe, die zumindest entfernt an Sport erinnert. Nicht so dieses Mal. Diesmal sitze ich an einer alten Nähmaschine und versuche hochkonzentriert, eine gerade Naht zu nähen. Warum mich dieses Bild noch mehr verwirrt als euch? Weil ich gar nicht nähen kann. Zumindest habe ich es seit mehr als 20 Jahren nicht mehr gemacht.
Auf den ersten Blick hat Nähen auch rein gar nichts mit meinem Sportvorhaben zu tun. Um Fitness sollte es hier im Blog gehen, um den Weg von der Coach zur Hantel, um meine Rückkehr mehr Ausdauer und regelmäßigem Training. Letzteres bleibt mir im Moment leider verwehrt. Ihr wurdet in den vergangenen Wochen Zeugen davon, wie ich mich langsam wieder für Sport begeistern konnte und mich im Zuge der #40tagesport-Challenge sogar mehrmals in der Woche gequält und sogar über den daraus resultierenden Muskelkater freuen konnte. Doch dann ist es passiert: Kopf gestoßen, Gehirnerschütterung, Sportverbot.
Alles für umsonst gewesen? Eine Frage der Perspektive
Anfangs hat mir diese Verletzungspause nichts ausgemacht. Ich schlief die meiste Zeit über und ergänzte diese höchst aufregende Tätigkeit nach den ersten Tagen um das Konsumieren von Hörbüchern. Der Blick auf das Handy, den Computer und den Fernseher war mir ärztlich untersagt, um Folgeschäden zu vermeiden. Zu meiner eigenen Überraschung kam ich mit dem Netflix-Entzug deutlich besser zurecht als anfangs angenommen – anders als mit der Trainingspause.
Der Verzicht auf Fitnessstudio oder Crossfit im Wohnzimmer war schlimm genug. Doch als ich realisiert habe, dass mich die Gehirnerschütterung meinen nächsten Meilenstein im Sportvorhaben kosten würde, zog es mir ein klein wenig den Boden unter den Füßen weg: Am 24. Juni wollte ich beim Münchner Stadtlauf, dem SportScheck RUN mitlaufen. Der 5-Kilometer-Lauf sollte mir einen Eindruck davon vermitteln, wie es ist, bei einem Event gemeinsam mit Hunderten anderen Menschen zu laufen. Er sollte mir als Vorbereitung auf den 10-Kilometer-Lauf Mitte Oktober in Berlin dienen. Er sollte mich motivieren und mir aufzeigen, dass sich mein Training der vergangenen Monate gelohnt hat. Dass ich mich selbst überwinden kann und mit dem Gefühl belohnt werde, etwas geschafft zu haben.
Am Rande der Frustration gestrandet
Auf diesen Tag hatte ich mich wochenlang vorbereitet und dank meines Freundes Basti sogar ein ganzes Team für diese Aktion gewinnen können. Fünf Leute – mein engster Freundeskreis gemischt mit einem neugewonnenen Laufverbündeten, der an meiner Seite in Berlin starten wird – wollten mit mir gemeinsam durchs Ziel laufen. Stattdessen wartete ich an der Ziellinie auf meine Mannschaft, um ihr wenigstens gebührend zujubeln zu können. Traurig, enttäuscht von mir selbst, geplagt vom schlechten Gewissen, dass meine Freunde ihre Zeit und ihr Geld geopfert haben für nichts und wieder nichts.
An diesem Gefühl änderte auch der Lebenseinsatz meines Mannes nur wenig, der mir zuliebe und um die Familienehre aufrecht zu erhalten beim RUN an meiner Stelle an den Start ging. Zwar konnte er mir den neunten Platz in der Gesamtwertung der Frauen sichern, verletzte sich jedoch am Fußgelenk und verpasste aufgrund dessen leider sogar die Medaillenausgabe. Die Kühlung des Fußes hatte klare Priorität und wer weiß, wozu dieser Zwischenfall sowie die Gesamtsituation gut waren.
Aus Frust ungeahnte Motivation geschöpft
Aus lauter Frust über meine Verletzungspause entwickelte ich eine Stärke, mit der ich am zu diesem Zeitpunkt am allerwenigsten gerechnet hatte: Ich überwand meinen inneren Schweinehund. Und zwar gnadenlos. Nicht, um Sport zu treiben, aber um mich einer anderen Herausforderung zu stellen. Einer Aufgabe, die ich nun schon drei Jahre vor mir herschob. Ich hatte ich von meiner Großmutter nach ihrem Tod eine Nähmaschine geerbt. Eine Pfaff Tipmatic 1037. Bei meinen ersten Nähversuch war die Nadel abgebrochen und der Faden gerissen. Ich fühlte mich seitdem nicht in der Lage, mich durch die Gebrauchsanleitung oder irgendwelche YouTube-Videos zu arbeiten. Die Angst, dass ich an den einfachsten Handgriffen scheitern könnte, war zu groß.
Als Kind war ich in Omas Nähstube aufgewachsen und sie, talentierte Schneidermeisterin, brachte mir damals alles rund um ihr geliebtes Handwerk bei. In meiner frühen Jugend nähte ich mir Hosen und Shirts, für die ich selbst die Schnitte angefertigt hatte. Bis hin zum letzten Stich. Von dieser Erfahrung war nach dieser langen Zeit lediglich der Wunsch übrig geblieben, wieder nähen zu können. Für mich, für mein Kind, für meine Omi. Doch der Zweifel an meiner handwerklichen Fähigkeit war ähnlich groß wie die Zweifel an meinem sportlichen Können bislang.
Ausgerechnet an diesem Tag, an dem ich nun gezwungen war, im einen Bereich eine Pause einzulegen, schaffte ich im anderen das für mich so lang Ersehnte: Ich konnte mich mit jeder Menge Elan und Geduld zur “Reparatur” der Nähmaschine überwinden und war danach so glücklich und stolz auf mich selbst, dass ich direkt vier Vorhänge umgenäht und Kissen mit Decken für das Puppenbett geschneidert habe.
Überwinde den inneren Schweinehund – das Wie ist egal
Und damit kommen wir nun endlich dazu, was die Nähmaschine mit meinem Sportvorhaben zu tun hat: Ein Rückschlag bedeutet nicht das Ende. Er bedeutet lediglich, dass wir die Dinge in einem anderen Licht betrachten müssen, wenn wir herausfinden wollen, wie wir daraus etwas Gutes ableiten und erschaffen können. Es geht nicht darum, wie wir unseren inneren Schweinehund überwinden, sondern DASS wir ihn überwinden. Im Blick nach vorn entsteht das Glück.
Ich, Nina, Jahrgang 1986 und Gründerin des Blogs “Ich mach dann mal Sport”, bin Zeit meines Lebens verliebt in Wort und Schrift. Jetzt nehme ich euch mit auf meine Suche nach Motivation und meinen Weg zu mehr Fitness.